Buch des Monats Oktober

Buch des Monats Oktober

GEFANGEN IN DER TITOTALITÄTSMASCHINE.
DER BAUHÄUSLER FRANZ EHRLICH
FRIEDRICH VON BORRIES, JENS-UWE FISCHER
SUHRKAMP, BERLIN (DE) DEUTSCH
315 SEITEN, 20 €
ISBN 978-3-518-12801-5

Kürzlich ließ uns eine Ausstellung im Berliner Kunstgewerbemuseum ratlos zurück: „Der vergessene Bauhäusler Erich Dieckmann“, so ihr Untertitel. Sie beleuchtete das gestalterische Lebenswerk von Erich Dieckmann, der bereits 1933 in die NSDAP eingetreten war. Dieckmann wurde also vergessen, weil er, nun ja, ein Nazi war. Dieser wichtige Punkt wurde in der Ausstellung selbst allerdings nur unzulänglich aufbereitet. Seine Ausbildung am Bauhaus wird knapp 100 Jahre später als Marketingfloskel benutzt. Denn wenn das Bauhaus heute zu etwas taugt, dann, um zu verkaufen. In eine ähnliche Kerbe scheint Designtheorie-Tausendsassa Friedrich von Borries zu schlagen, der sich zusammen mit Jens-Uwe Fischer einer weiteren zweifelhaften Bauhäusler-Biografie angenommen hat – allerdings wesentlich umfangreicher und differenzierter. Das Buch „Gefangen in der Titotalitätsmaschine. Der Bauhäusler Franz Ehrlich“ beschäftigt sich mit dem Leben eines komplexen Charakters, dessen Entscheidungen und Motivation nicht immer nachvollziehbar sind. Franz Ehrlich, geboren 1907, studierte drei Jahre an der legendären Gestaltungsschule, blieb aber zeitlebens ohne Bauhausdiplom. In seinem OEuvre befinden sich sowohl die Inschrift „Jedem das Seine“ am Tor des KZ Buchenwald, die Ehrlich als politischer Häftling in ebendiesem anfertigte, das Funkhaus Nalepastraße in Berlin (1951 / 56) und die in der DDR populäre Typenmöbelserie „602“. Franz Ehrlich gleitet im Verlauf dieses biografischen Essays scheinbar mühelos durch die verschiedenen „Titotalitätsmaschinen“ (eine Wortschöpfung von Ehrlich) seines Lebens, arbeitet nach seiner Inhaftierung im KZ in der Zentrale des SS-Bauwesens, inszeniert sich in der noch jungen DDR als Opfer des Nazi-Regimes und arbeitet ab den 1950er-Jahren als Geheimer Informator für die Stasi. Von Borries und Fischer ordnen diese Punkte im Leben eines Wendehalses kritisch ein und lassen an den richtigen Stellen Freiraum für die eigene Meinungsbildung, was gut und wichtig ist, um sich in ein Leben hineinzuversetzen, das kaum individuellen Gestaltungsraum zuließ. „Es ist das Wesen der Totalitätsmaschine, […] dass man ihre Beweggründe nicht immer nachvollziehen kann“, schreiben die Autoren. Gleiches gilt für die Menschen in ihr. So kann die Lektüre auch sehr gegenwärtig gelesen werden. An Totalitätsmaschinen mangelt es auf dieser Welt auch heute nicht. SIE, AR