„Wir können den Moment nicht erwarten, in dem die Virtualität von unserer Realität nicht mehr zu unterscheiden ist.“ Ein Gespräch mit Pussykrew

„Wir können den Moment nicht erwarten, in dem die Virtualität von unserer Realität nicht mehr zu unterscheiden ist.“ Ein Gespräch mit Pussykrew

Durch multimediale Installationen und audiovisuelle Experimente erkunden Pussykrew Räume, die zwischen digitaler und analoger Realität liegen. Diese hybride Realität beherbergt fluide Identitäten und erschafft sich als permanentes Experiment immer wieder neu. Wir haben den beiden Digitalkünstler*innen acht Fragen zum Thema Simulation gestellt.

Inwiefern spielt Simulation eine Rolle in Eurem Arbeitsprozess?


Alles ist eine Simulation. Wir haben uns aufgrund der Hyperrealität für Digital- und Medienkunst interessiert. Im tiefsten Innern war es eine Art von Flucht. Die Realität genügte uns nie, vor allem bot uns die, in die wir hineingeboren wurden, nicht viele Möglichkeiten. Die Suche nach einem Fluchtweg war die einzige Wahl.
Obwohl Technologie keine Antwort auf Probleme parat hat und keine Lösung darstellt, fühlte es sich – in der Zeit, in der wir aufgewachsen sind und Kultur konsumiert haben – so an, als sei dies die Zukunft, an der wir teilhaben wollten. Eine andere Zukunft als die, die in unserer polnischen Heimat auf uns wartete. Für uns hat das Internet definitiv alles verändert, aber schon damals, um 1995 herum, schlummerte in stundenlangem Anschauen von auf VHS-Kassetten aufgezeichneten VIVA-Zwei-Musikvideos eine eigene Kraft. Die Geburt von technologischen Bildern, Expanded-Cinema, Cyberpunk, Demoszene und früher elektronischer Musik war die Utopie, an die wir glaubten. Es war naiv, so zu denken, aber es reichte aus, um uns zu motivieren, unseren Weg nach draußen zu finden. Simulation ist der Kern unserer Kunst, weil wir uns nie für das Reale interessiert haben. Das Physische ist nur die Ausrede, es ist der Köder, um Menschen in unsere Welten hineinzuziehen. Wir präsentieren unsere Kreationen als etwas Vertrautes, aber gleichzeitig verzerren wir ihre Bedeutungen und deren Darstellung. Wir verwenden materielle Objekte als Vehikel, Trigger und als Einstieg in unsere Simulationen.

Welche Werte und Ansprüche kommuniziert Ihr in Eurer Kunst?


Innerhalb unserer kreativen Praxis verbinden wir Kunst mit Technologie, Körperlichkeit und Virtualität, Mainstream und Nische, Utopie und Dystopie. Wir bauen neue Realitäten, erweiterte Landschaften, Zwischenräume, augmentieren die Wirklichkeit und verstärken die Gedankenvielfalt in der Tech- und Designwelt.
Wir sind autodidaktische Künstler, Regisseure und kreative Technologen, die alternative Zukunftsformen erkunden, in denen alle Identitäten und Ausdrucksformen gefeiert werden. Wir versuchen, die Zukunft so fließend wie möglich zu gestalten. Als digitale Nomaden bewegen wir uns in physischen und virtuellen Räumen, halten über verschiedene Plattformen Kontakt und arbeiten mit internationalen Communitys zusammen. Diese Erfahrungen wirken sich auf unsere kreative Praxis aus und eröffnen uns einen breiteren Blickwinkel. Wir glauben, dass das Kunstwerk tiefgründiger ist, wenn es von gelebten, geteilten Erfahrungen begleitet wird. Der Prozess des Aufbaus und Schaffens kann wertvoller sein als das Ergebnis selbst. Der Zugang zu digitalen Werkzeugen hatte für uns auf vielen Ebenen tatsächlich eine befreiende Wirkung. Deshalb wollen wir andere dazu anregen, mehr Kontrolle über ihr eigenes Leben zu erlangen und ihren kreativen Werdegang zu entwickeln. Wir sind Künstler und Katalysatoren zugleich. Wir wollten immer in einer Welt leben, in der der technologische Fortschritt konservative Werte und systematische Unterdrückung überwindet, sodass der Einzelne seine Fähigkeiten verbessern kann.



Hilft Euch Simulation dabei, Eure Werte/Eure Botschaft zu kommunizieren?


Ja, weil wir Realitäten und Zukunftssituationen simulieren und dadurch neue schaffen. Wir sind große Anhänger des Punk, deshalb geben wir nie auf und gehen nicht mit dem Status quo konform. Wir suchen lieber eigene Wege und umgehen die Regeln. Das ist auch der Grund dafür, dass unsere kreative Praxis im übertragenen und wörtlichen Sinne so fließend ist. Sie ist sehr symbolisch und persönlich. Unser Interesse speiste sich in der Anfangszeit aus Popkultur, Technologie und dem Körper. Bilder zu verformen, zu verzerren und zu moshen, hat uns fasziniert. In unserer kreativen Praxis ging es uns nie um Fotorealismus – es ging uns um Hyper-Surrealismus. Vergangenes Jahr haben wir mit dem Entwurf einer Reihe spekulativer Lebensformen begonnen, eine posthumane Spezies, die wir durch VR-Sculpting kreieren. Die VR-Sculpting-Erfahrung selbst ist äußerst physisch und transformativ. Wir fragen uns immer noch, wie die Zukunft unserer physischen Präsenz aussieht und wie sich unser Fleisch entwickeln wird. Unser Verstand ist wie ein Mixer, den wir mit unseren Inspirationen füllen – Ghost in the Shell, Videodrome, Kremaster, Art-House- und Queer-Erotica und so weiter. Wir spucken eine körperflüssigkeits-, quecksilber-ähnliche Schmiere aus, eine visuelle Überladung – das ist vielleicht die treffendste Beschreibung unserer maximalistischen Herangehensweise.

Was meint ihr mit maximalistisch?


Wir sind besessen von opulenter CGI, einer hyperdigitalen Luxusästhetik, einer Kombination aus Neo-Barock und Renaissance-Kunst. Die meisten Animationsarbeiten, die wir sehen, sind für gewöhnlich ziemlich minimalistisch, viele der „echten“, traditionell geschulten Designer*innen und CGI-Künstler*innen würden unsere Arbeiten sicher hassen, weil sie deine Augen wie flüssiges Metall bluten lassen.


Unterscheidet Ihr eindeutig zwischen Realität und Virtualität?


Wir sind nicht sicher, wie sich all das in eine „reale Welt“ übertragen lässt. Für uns ist alles so miteinander verbunden, dass das Virtuelle Auswirkungen auf die reale Welt hat und umgekehrt. Wir verbringen viel Zeit in der Digitaliät und der Virtualität, manchmal fühlt sich das realer an als das „echte“ Erlebnis. Wir können das räumliche Computing und all die „dystopischen“ Szenarien von Mikroimplantaten, die unseren Körper erweitern, kaum erwarten. Wir lassen den Albtraum der Überwachung und des Data-Mining bereits hinter uns.

Inwiefern simuliert Ihr Realitäten?


Wir verbinden surreale Fantasie mit Science-Fiction und aktuellen Themen. Aber wir erzählen Geschichten nie auf offensichtliche Art und Weise, lieber konzentrieren wir uns auf Atmosphäre und den emotionalen Affekt. Unsere Bilder können „schön“ und ansprechend sein, aber es überwiegt immer ein Gefühl immenser Unsicherheit. Wir stellen die Realitäten vor, die im Übergangsprozess begrenzt sind. Wir versuchen, Bilder zu schaffen, die offen sind und dem Publikum die Möglichkeit geben, eigene Geschichten in unseren Welten darzustellen. Wir beeinflussen die Realitäten, die wir teilen, aber wir geben niemals einen Weg vor oder geben eine eindeutige Antwort. Für uns ist es wichtig, das Handeln den Zuschauern zu überlassen. Es mag kitschig klingen, aber die Kontrolle über die eigenen Entscheidungen ist das, was wir am meisten respektieren. Es spiegelt unsere IRL-Werte (in real life) wider. Diesen Luxus hatten wir selbst lange Zeit nicht und manchmal fehlt er uns immer noch. Aber die Freiheit, man selbst zu sein und sich in seiner Umgebung wohlzufühlen, kann sich bedauerlicherweise nicht jeder leisten.

Was macht für Euch den Reiz von (Computer-)Simulationen aus?


Es ist ein Traum, dass unsere ungelenken Körper, unser Fleisch und unsere physische Umgebung uns nicht einschränken. Es ist ein Traum, dass man sein Leben so beeinflussen und sich so ausdrücken kann, wie man möchte. Es geht darum, das Chaos zu kontrollieren und Bereiche zu schaffen, die in einer in fixen physischen Systemen verankerten Welt nicht bestehen könnten.

 

Welche neuen ästhetischen Möglichkeiten bieten Euch (Computer-)Simulationen?

Momentan erforschen wir erweiterte Realitäten (XR) und erstellen interaktive Echtzeitumgebungen. Oft werden wir von Freunden gebeten, eine virtuelle, erweiterte Realität zu schaffen, in der sie „leben“ könnten. In unserer Arbeit steckt etwas Viszerales und sehr Körperliches, zu dem sich die Menschen hingezogen fühlen. Eines unserer Ziele ist es, ein filmisches Spiel mit offenem Ende zu schaffen. Die grenzenlose Welt, die sich zusammen mit dem Spieler entwickelt. Darüber sprechen wir nun schon seit Jahren, aber wir denken immer allumfassend und kompromisslos. Deshalb warten wir, bis die Technologie, die uns helfen könnte, unsere Ziele zu erreichen, für Sterbliche wie uns zugänglich wird. Es sind Computersimulationen und, ganz allgemein, die von uns verwendeten Tools, die uns kreativ weiterentwickeln. Es klingt für viele furchterregend, aber wir können den Moment nicht erwarten, an dem die Virtualität von unserer Realität nicht mehr zu unterscheiden ist und wir dort eventuell für immer eintauchen können.
Die Frage ist nur, was zuerst da sein wird – die Simulation, in der wir ewig leben können, oder die bewohnbare Welt, die das Nebenprodukt der von uns ersehnten Simulation ist.