Hanne Willmann wird in der Presse als neuer Star des deutschen Möbeldesigns inszeniert. Als eine der wenigen Frauen in der Branche wird sie dadurch automatisch zum Vorbild.
Hanne, was motiviert dich, jeden Morgen aufzustehen und dich aufs Neue an die Arbeit zu machen?
HW Das Gefühl, dass es keine Arbeit ist. Meine Arbeit ist mein Baby. Ich glaube, das ist wie für andere Menschen ein Kind zu haben. Es ist völlig klar, dass sie dieses Kind füttern müssen. Dieses Gefühl kennen wahrscheinlich viele Selbstständige.
Im besten Fall.
HW Es gibt auch Selbstständige, die ein Unternehmen führen und bei denen der monetäre Gewinn im Vordergrund steht. Design ist für mich aber wie ein Ausdruck meiner selbst. Geld ist natürlich ein hilfreiches Nebenprodukt guter Arbeit, und das muss auch immer in einer guten Relation zur Arbeitszeit stehen. Mein Ziel ist es, immer interessantere und spannendere Projekte machen zu können.
Du hast mir mal gesagt, dass du gar nicht so genau weißt, ob du eine besonders herausragende Designerin bist, sondern manchmal das Gefühl hast, so viel mediale Aufmerksamkeit zu bekommen, weil du eine Frau bist. Ist das etwas Gutes oder Schlechtes?
HW Ja, in manchen Situationen kommen solche Zweifel. Ich kann mich dann aber immer wieder selbst beruhigen. Es ist schließlich toll, wenn ich dazu beitragen kann, dass Frauen im Design noch mehr gesehen werden.
Wächst man vielleicht in so ein Bild hinein, das von außen an einen herangetragen wird?
HW Am Anfang hieß es „Newcomerin“. Mittlerweile lese ich schon manchmal „Stardesignerin“, obwohl ich selbst das Gefühl habe, da bin ich noch gar nicht. Aber so etwas sollte man auch nicht zu ernst nehmen. Natürlich braucht die Presse manchmal Dramatisierung. Ich glaube übrigens auch, dass es etwas Gutes hat, wenn Frauen ihres Frauseins wegen mehr Beachtung finden. Es müssen weibliche Vorbilder geschaffen werden. Im Ausland gibt es einige im Produktdesign, zum Beispiel Patricia Urquiola oder Inga Sempé. Trotzdem sind es noch viel zu wenige. In Deutschland finden wir noch weniger Frauen in diesen Positionen, höchstens diese typischen Architektenduos mit Mann und Frau. Aber in der Möbelbranche sind es einfach nicht so viele. Und wenn, dann ist die klassische Aufteilung in Deutschland immer: Frauen machen eher Keramik, Glas und Textilien, die Männer die großen Möbel. Deswegen bin ich wirklich dankbar, Vorbild sein zu dürfen. Es gibt viele junge Frauen, Gestalterinnen und Studentinnen, die Kontakt zu mir suchen und wissen wollen, wie es ist, als Frau in so einer Position zu sein.
„Ich wurde kürzlich gefragt, ob ich typisch weiblich gestalte. Da habe ich mich gefragt, was das genau heißen soll. Für viele ist ,weiblich‘ eben weich und rund, aber ich würde das nie so definieren.“
Siehst du dich selbst auch als Vorbild
HW Ich freue mich, wenn ich das für manche sein darf, und bin froh, dass mir das auch ohne die leider allzu häufig „typisch“ männliche Art und Weise gelingt. Viele Frauen, die in Deutschland in Führungspositionen sind – bestes Beispiel ist Angela Merkel –, müssen sich oft auf diese pseudomännliche Art und Weise verhalten, um Respekt zu bekommen. Ich bin froh, dass das in meinem Fall gar nicht so sein muss. Ich kann einfach ich selbst sein und muss mein Geschlecht nicht ständig zuordnen oder infrage stellen. Das ist sehr angenehm.
Hattest du mal einen Moment in einem geschäftlichen Kontext, wo jemand etwas Sexistisches oder Frauenfeindliches gesagt hat und du dachtest, du kannst jetzt gerade nicht politisch werden, sonst geht dir ein Auftrag flöten?
HW Am Anfang ist das oft passiert. Da ist es schwer zu unterscheiden, ob man jetzt herabgewürdigt wird, weil man noch jung ist und Einsteigerin oder weil man eine Frau ist. Beides geht auch häufig Hand in Hand. In Magazinartikeln wird man zum Beispiel oft verniedlicht. Das würde bei Männern nicht passieren. Meistens sind es sogar Frauen, die die entsprechenden Headlines schreiben. Auf der anderen Seite habe ich nicht das Gefühl, dass es sich in meinem Fall nachteilig ausgewirkt hat. Aber es gab definitiv schon unangenehme Fälle. Mich hat mal ein Hersteller gefragt: „Was würdest du gerne für uns machen?“ Ich habe geantwortet, dass ich gern ein Sofa oder ein Regalsystem entwerfen würde. Er meinte dann: „Bei uns ist es häufig so, dass die Frauen eher im Accessoirebereich sind.“ Er war ein bisschen verwundert, dass ich Möbel designen wollte. Tatsächlich habe ich ja im Portfolio auch einige Accessoires – es ist nicht so, als würde ich nur Systemmöbel machen. Trotzdem meinte ich, dass es dann ja wohl an der Zeit sei, auch mal eine Frau die großen Sachen machen zu lassen und die Briefings für die Accessoires den Männern zu geben. Von dieser Ansage war der Auftraggeber beeindruckt – und am Ende auch glücklich mit dem Ergebnis. Das Beispiel zeigt ganz gut, wie ich mit so einer Situation umgehe. Die Firma ist mittlerweile übrigens insolvent.
Es braucht einfach jemanden, der diese Grenzen einmal einreißt.
HW Ich hatte letztens erst eine Begegnung mit einem gestandenen, erfahrenen Geschäftsmann. Der wollte mir die ganze Zeit zeigen, dass ich keine Ahnung habe. Als wir dann durch die Produktion gelaufen sind, hat er schnell gemerkt, dass ich sehr wohl Ahnung habe. Ich habe immerhin vier Jahre lang Technologie und Konstruktion an der Universität der Künste Berlin und an der Hochschule Anhalt in Dessau gelehrt. Ich merke oft, dass mir gerade am Anfang nicht auf Augenhöhe begegnet wird. Ich kann natürlich nicht sagen, ob das bei Männern am Anfang nicht auch so ist. Aber in vielen Fällen würde ich unterstellen, dass Frauen stärker gegen Vorurteile ankämpfen müssen.
Du hast Pauline Deltour einmal als eines deiner Vorbilder bezeichnet. Sie ist mehr oder weniger deine Generation. Hast du auch ein Frauenvorbild aus der „Legendengeneration“ von Dieter Rams oder Jean Prouvé?
HW Eine alte Häsin sozusagen?
Genau, gibt es da eine Frau?
HW Patricia Urquiola ist noch nicht so alt, von daher kann ich sie jetzt nicht nennen. Aber grundsätzlich finde ich sie toll. Sie macht das auf eine ganz weibliche Art und Weise. Ich habe aber auch nicht viel Auswahl, das muss man auch dazusagen. Ich kann jetzt vielleicht zwischen vier Frauen wählen, welche ich am tollsten finde. Na klar, es gibt die alten Bauhausgestalterinnen, aber von den wirklich praktizierenden Frauen würde ich schon sagen, dass es Patricia Urquiola ist. Ich habe in einem Interview gelesen, dass sie bewusst „feminin“ arbeitet, damit die Kunden auch wissen, dass sie, wenn sie zu ihr kommen, bewusst feminine Gestaltung bekommen. Ich selbst habe mich klar dagegen entschieden. Das kann ich nicht.
Was soll feminine Gestaltung denn auch bedeuten?
HW Klar, man redet da zum Beispiel über weiche Formen, warme Sachen, helle und bunte Farben und so weiter. Das ist das stereotyp Weibliche. Ich wurde kürzlich auch in einem Interview gefragt, ob ich typisch weiblich gestalte oder ob ich manchmal darüber nachdenke, das einzusetzen. Da habe ich mich gefragt, was das genau heißen soll. Für viele ist „weiblich“ eben weich und rund, aber ich würde das nie so definieren. Ich habe in meinem Kopf gar nicht die Konnotationen „weiblich“ oder „männlich“ für Gestaltung. Diese Zeit ist auch vorbei.
Würdest du dir von der Presse wünschen, dass du anders dargestellt wirst oder dass differenzierter berichtet wird?
HW Manchmal schon. Es wäre von Vorteil, mal mehr darüber zu reden, wie stark die Frauen unserer Generation eigentlich sind. Es gibt nämlich auch Texte über mich, vor allem von jungen Frauen geschrieben, in denen ich sehr stark und ohne weibliche Klischees dargestellt werde.
Da sieht man, dass vielleicht mehr dahintersteckt als du als Person, sondern eben das Thema, das gerade in der Luft liegt.
HW Ja, aber manchmal auch Wünsche: Ich habe zum Beispiel gerade geheiratet. Eine Journalistin hat daraufhin zu mir gesagt: „O Gott, nicht, dass du jetzt Kinder kriegst!“ Das war ihr Bild, das sie auf mich projiziert hat: Sie schreibt jetzt über mich, vertraut auf mein Talent und darauf, dass ich in den nächsten Jahren bekannter werde. Auf der einen Seite fördert sie mich dadurch, auf der anderen wünscht sie sich von mir, dass ich ihr den Wunsch erfülle, berühmter zu werden, keine dreifache Mutter werde und dann nicht mehr arbeite. Ich war kurz erschrocken, habe dann aber sofort gedacht, das hat mit Geschlecht in dem Fall vielleicht gar nichts zu tun, das ist einfach ihr Wunsch als Journalistin.
Es ist aber auch übergriffig.
HW Na ja, sie hat es gut gemeint. Ich habe neulich einem Panel zugeschaut, da wurden zwei Männer und eine Frau interviewt. Die Frau wurde gefragt: „Du bist ja hier im Vorstand, wie schaffst du es eigentlich, das als Frau mit deinem Privatleben zu vereinen?“ Sie hat gesagt: „Ja, das ist nicht so leicht, aber ich habe eine gute Nanny“, und dann ging es die Hälfte des Interviews nur darum, wie sie ihr Leben als Frau managt.
Dieses gebeutelte Leben sozusagen.
HW Genau, wie kannst du Frausein, Mutterschaft und Karriere verbinden? Ganz am Ende ist bei dem Panel eine junge Frau aufgestanden und hat die Frage gestellt: „Entschuldigung, ich würde gern mal wissen, wie ist denn das Privatleben bei den Männern? Wie verbinden die denn bitte Kinder und Karriere?“ Alle haben gejubelt und geklatscht. Ich wurde auch richtig wütend. Wie kann es sein, dass es bei einer Frau eine halbe Stunde lang gar nicht um ihren beruflichen Werdegang, sondern nur um ihre Kinder geht? Warum werden Frauen das gefragt und Männer nicht?
Kommen wir zurück zu deiner Arbeit. Du arbeitest mit vielen verschiedenen Materialien. Ist das etwas, das von außen an dich herangetragen wird, oder eine persönliche Entscheidung?
HW Für mich ist es selbstverständlich, nachhaltig zu arbeiten. Ich denke nicht die ganze Zeit darüber nach, welcher PET recycelt ist – ich gestalte erst gar nicht mit Kunststoff, da kommt die Frage nicht auf. Ich liebe es, mit Holz zu arbeiten, einem nachwachsenden Rohstoff, und achte darauf, regionales Holz zu nehmen. Ich habe mir vorgenommen, eigentlich nur noch mit Herstellern zu arbeiten, die regional produzieren. Wobei das Regionale immer so eine Sache ist. Sagen wir mal, ein thailändischer Hersteller produziert in Thailand, dann ist es regional. Wenn ein deutscher Hersteller in China produziert, dann muss das Produkt durch die halbe Welt geschickt werden. Diesen Zwischenweg möchte ich auf jeden Fall vermeiden. Ich arbeite auch viel mit Kunsthandwerkern zusammen, gerade hier in Deutschland. Nachhaltiger und regionaler kann man eigentlich nicht produzieren. Wenn das Produkt aber nach einem Jahr weggeschmissen wird, dann hat man gar nichts von der Nachhaltigkeit. Deswegen hoffe ich, dass meine Produkte entweder zeitlos sind, weil sie so schlicht sind, dass sie sich überall einfügen, oder so hochwertig produziert, dass die Leute sie wegen einer persönlichen Verbindung zu ihnen unbedingt behalten wollen. Das ist eher der Nachhaltigkeitsgedanke, den ich habe. Und klar, wenn ich jetzt Sneakerdesignerin wäre, dann müsste ich mir ganz andere Gedanken über Nachhaltigkeit machen.
Welche Dinge haben dich unter einem technologischen Aspekt in den vergangenen Jahren besonders begeistert?
HW Gespannt bin ich wirklich auf Entwürfe, die sich durch 3D-Druck realisieren lassen. Ich glaube, man entwirft da einfach anders. Das ist jetzt eine alte Kamelle, aber wenn man zum Beispiel ein Stuhlgestell konstruiert, das aus Metall hergestellt oder aus Holz gefräst werden muss, dann denkt man über die Komplexität der Form nach und darüber, sie zu reduzieren, damit möglichst wenig Arbeitsschritte nötig sind. Die Höhe des Preises entsteht durch die Komplexität der Produktion oder des Gestells. Im 3D-Druck entsteht der Preis durch das Gewicht oder Volumen. Das heißt, du kannst das abgefahrenste, komplizierteste Gestell der Welt machen – wenn es wenig Volumen hat und total löchrig ist, ist das niederkomplex für den Drucker und günstig. Ich finde diesen Switch zwischen Komplexität und Preis spannend, der durch den 3D-Druck entsteht. Für mich hat das bisher noch überhaupt keine Auswirkungen, weil die Hersteller, mit denen ich arbeite, auf Handwerk setzen und ich selbst ja ehrlich gesagt auch. Ansonsten habe ich das Gefühl, dass ich technologisch eher rückschrittlich bin und aktuell viel mit traditionellen Gewerken zusammenarbeite, wie zum Beispiel Glas oder Keramik. Ich schaue, wie früher Dinge gefertigt wurden und ob man die Techniken dahinter irgendwie wieder aufleben lassen kann.
Würdest du sagen, Möbel- und Accessoiredesign und alles andere, was in diesen Interiorbereich fällt, gewinnt oder verliert heutzutage an Relevanz?
HW Ich glaube, wir sind gerade an einem Wendepunkt. Wir wurden in den vergangenen fünf oder zehn Jahren von Produktdesign übersättigt. Die Dänen haben mit ganz vielen Marken Produktdesign „for all“ gemacht. Ich meine nicht mal Ikea, sondern hochwertigere Marken wie Muuto und Hay. Die haben dafür gesorgt, dass wir mit weniger Geld und auch in jüngeren Jahren Design zu Hause haben können. Dadurch wurden wir aber komplett überschüttet mit Zeug. Ich glaube, dass jetzt gerade ein Wandel einsetzt, wo man wieder bewusst reduziert auf wenige, dafür aber hochwertige oder besondere, toll produzierte Dinge. Das ist ein Wandel, den ich sehr begrüße.
Wie läuft dein Entwurfsprozess ab?
HW Inspiration finde ich auf unterschiedliche Weise. Es kann sein, dass ein Hersteller mich anfragt. Dann schaue ich mir dessen Portfolio an, finde eine Lücke und fange an zu gestalten. Es kann aber auch sein, dass in mir selbst irgendwo eine Idee brennt und ich sie verwirklichen muss. Meistens bringe ich sie erst in Skizzenform aufs Papier. Dann gehen wir eigentlich sofort ins CAD [Computer-Aided Design] und fangen an, dort zu bauen, und später in den Modellbau, um sie zu prüfen. So gibt es ein ständiges Pingpong aus Modell und CAD. Dann rendern wir und packen es in eine schöne Präsentation, dann geht’s an den Hersteller, und sobald der sagt, dass er das gut findet, geht es zum Protoypenbau. Manchmal machen wir die Entwicklung auch selbst. Es kommt immer ein bisschen darauf an, was der Hersteller für Kompetenzen hat.
Anderes Thema: Wir sind umgeben von Projekten und Produkten, die geschlechterspezifische Stereotype reproduzieren und immer wieder verstärken, anstatt sie aufzulösen.
HW Oh ja, immer schlimmer. Gerade Produkte für Kinder. In meiner Kindheit waren die Spielzeugsektionen nicht so stark in Blau und Rosa unterteilt. Das ist richtig schlimm geworden.
Welche Verantwortung tragen Designerinnen und Designer bei der Belegung solcher Symbole? Findest du, sie müssten es ablehnen, bestimmte Sachen zu gestalten?
HW Absolut. Ich weiß nur nicht, inwiefern die Designer von Elsa aus „Frozen“ diesen Anspruch an sich selbst haben – oder überhaupt eine Chance haben, was zu sagen. Ich frage mich, ob da überhaupt Designer dahintersitzen oder das nur noch ein Marketingteam ist? So Sachen sind jetzt nicht besonders hochwertig gestaltet, da ist das Logo von allen Seiten draufgeknallt, überall sind Aufkleber drauf, und dann hängt noch ein rosa Tutu dran. Ich glaube die Verantwortung liegt auch bei uns Designern, aber wir haben kaum die Möglichkeit, uns einzubringen, weil wir zu selten an solchen Prozessen beteiligt sind.
Abschlussfrage: Gibt es eine Frau, egal ob tot oder lebendig, egal ob Designerin oder nicht, mit der du gern mal Kaffee trinken gehen würdest?
HW Oha, da muss ich mal nachdenken. Ich sage mal lieber eine noch lebende Frau – das ist vielleicht spannender, falls sie das irgendwie zu Ohren bekommt oder liest und wir uns dann wirklich zum Kaffee treffen können: Patricia Urquiola.