ALLES ANDERE ALS VEGAN

ALLES ANDERE ALS VEGAN

Das Bemühen um Nachhaltigkeit und die Suche nach umweltschonenden Alternativen zum Status quo unserer Konsumgesellschaft sind heute von größerer Dringlichkeit als je zuvor. Umso wichtiger ist es, sich vor Augen zu führen, dass schon so gut wie alles im Überfluss vorhanden ist. Diese fünf Projekte zeigen, was man alles aus Tierresten machen kann, und hinterfragen gleichzeitig das Verhältnis von Mensch und Tier. Besonders relevant erscheint das in einer Zeit, in der das Tier als Massenware begriffen wird.

BASSE STITTGEN, BLOOD RELATED

Die Tierschlachtung ist eine der größten Industrien der Welt und Blut ihr Massenabfallprodukt. Basse Stittgen gibt dem Material mit seinen Produkten eine neue Form und hinterfragt den Wert, den wir Tieren beimessen. Die Objekte aus 100 Prozent Kuhblut sollen konfrontieren, Bewusstsein schaffen und gleichzeitig Verschwendung reduzieren. Blut erzählt tausend Geschichten und jede Geschichte steckt voller Bedeutung. Keine dieser Geschichten handelt jedoch vom Blut als Abfallmaterial. Aber könnte Blut auch als leicht verfügbares, und deshalb umso wichtigeres Biomaterial dienen? Basse Stittgen setzt die Divergenz zwischen der starken symbolischen Bedeutung und dem Material als Abfallprodukt bewusst ein und erzeugt so einen scharfen Kontrast in seinen Objekten.

BASSE STITTGEN, HOW DO YOU LIKE YOUR EGGS?

Ein Drittel aller Lebensmittel geht verloren oder wird verschwendet – darunter auch viele Eier, die entweder ablaufen oder deren Schale zu fragil für den Transport ist. Von der Domestizierung bis zur Industrialisierung hat der Wert von Hühnern und ihren Eiern zunehmend abgenommen. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier hat sich verändert. In Basse Stittgens Projekt How do you like your eggs? wird der Inhalt zum Behältnis. Weggeworfene Eier werden zu Eierbechern und geben Aufschluss über die außergewöhnliche Materialität eines Tierproduktes, das durch Massenkonsum zur Gewohnheit geworden ist. Um dieser Wertverschiebung entgegenzuwirken und ein Bewusstsein für unsere Konsumgewohnheiten und die Verschwendung von Eiern zu schaffen, werden in dem Projekt abgelaufene Eiweiße und -schalen thermogeformt. So entstehen Plastikbecher ohne Zusätze. Als Gegenentwurf zu herkömmlichen Plastikprodukten entsteht ein vollständig abbaubarer Biokunststoff.

 

 

 

 

 

 

 

KATHRINE BARBRO BENDIXEN, INSIDE OUT

Kathrine Barbro Bendixens Leuchten zeigen, wie ästhetisch Tierinnereien sein können. In fast wolkenhaft leicht wirkenden Gebilden gibt sie ihnen ein zweites Leben und fordert heraus, wie wir bestimmte Materialien bewerten. Barbro Bendixens Praxis zeichnet sich durch einen ungewöhnlichen und experimentellen Umgang mit Werkstoffen aus, die sie in neuen und unkonventionellen Kontexten inszeniert. Ihre Lichtskulpturen aus tierischen Abfallprodukten stellen Fragen zu Nachhaltigkeit und dem Umgang mit tierischen Abfallprodukten. 

JANNIS KEMPKENS, PLASTICULA

In vielen Teilen der Welt gelten Insekten und insbesondere Mehlwürmer schon lange als nachhaltige Proteinquelle. Mehlwürmer verfügen aber zudem über eine besondere Eigenschaft: Sie können Styropor verdauen. Der Mehlwurm extrahiert dabei alle notwendigen Nährstoffe aus dem Kunststoff und wandelt sie in eine biologisch verwertbare Masse um. Während ihres Lebenszyklus wächst die Mehlwurmlarve heran, verpuppt sich, wird zum Käfer und stirbt letztlich. Jannis Kempkens widmet sich mit seinem Projekt Plasticula diesen sterblichen Überresten, die zum größten Teil aus Chitin bestehen. Ist es einmal extrahiert, lässt sich das Chitin unter Zugabe natürlicher Säure zu einer Folie pressen. So kann der Mehlwurm sowohl zum Abbau von Styropor beitragen und gleichzeitig eine nachhaltige Alternative zu Plastik produzieren. Ein schlichter Kasten dient Kempkens als Wurm-Farm, in dem jede Generation ihre eigene Abteilung hat. Eine leicht verständliche Online-Anleitung macht es allen Interessierten möglich, selbst Wurm-Farmer*in zu werden und eigenen Biokunststoff zu züchten. Kempkens Ziel ist es, die Herstellung des nachhaltigen Bioplastiks so zugänglich wie möglich zu gestalten, damit sie größtmögliche Verbreitung findet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

FABIAN HÜTTER, MEMBRANE

Die Gesamtzahl aller gelegten Geflügeleier (dazu zählen zum Beispiel Wachtel- oder Straußeneier), beträgt 1,4 Billionen jährlich. Aus dieser Menge entstehen ca. 1,5 Millionen Tonnen mehr oder weniger ungenutzte Eimembran. Im industriellen Kontext werden die Eierschalen und Membranen für die Zementherstellung verwendet, aber nur das Calciumcarbonat (Kalk) der Eierschale wird tatsächlich genutzt. Die Glykoprotein-Eimembranen verbrennen einfach. Um die wertvollen Membranen zu retten, entwickelte Fabian Hütter ein Verfahren, das es ermöglicht, die dünnen Häutchen von den Eierschalen zu trennen. Die Eimembran umschließt das Eiweiß und schützt es vor Mikroorganismen, die Wiederverwendung als Lebensmittelverpackung schien Hütter daher mehr als schlüssig. Mit Hilfe von Natriumhydroxid können die Proteinketten aufgelöst und als flüssige Spray-Verpackung zum Beispiel direkt auf Gemüse aufgesprüht werden. Wenn die Flüssigkeit trocknet, bildet sie einen Schutzfilm, der herkömmliche Plastikverpackungen überflüssig macht. Zusätzlich kann durch Formpressen der Eimembran ein kompostierbarer Biokunststoff hergestellt werden. So entsteht ein transparentes Material, das eine optimale Alternative zu Kunststoffen auf fossiler Basis darstellt.