Interview: Jasmin Jouhar
Neuigkeiten aus Mitteldeutschland: Auf dem Gelände der ehemaligen Saalecker Werkstätten in Naumburg hat die „dieDAS“, die Design Akademie Saaleck, ihre Arbeit aufgenommen – mit dem ersten Jahrgang eines Fellowship-Programms. Wie es weitergeht an dem so idyllischen wie belasteten Ort – die Geschichte der Saalecker Werkstätten ist eng mit dem NS-Rassenideologen und Architekten Paul Schultze-Naumburg verbunden – erklären Tatjana Sprick und Arne Cornelius Wasmuth im Interview. Sprick, dieDAS Director of Programs and Development, ist verantwortlich für das Programm der Akademie. Founding Director Wasmuth wiederum ist gemeinsam mit dem Kunstsammler Egidio Marzona die treibende Kraft hinter der Gründung der Akademie und der anstehenden Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudekomplexes.
Die ersten Stipendiat*innen und das dieDas-Team
Liebe Tatjana Sprick, lieber Arne Cornelius Wasmuth, was ist „dieDAS“, die Design Akademie Saaleck?
ACW „dieDAS“ ist eine neue Akademie in Mitteldeutschland, im Burgenlandkreis. Sie fördert internationale, heranwachsende Talente aus den Bereichen Design, Handwerk und Architektur vor allem durch die Vergabe von Stipendien. Am ersten Fellowship-Programm in diesem Jahr haben der Amerikaner Sasson Rafailov, die Syrerin Talin Hazbar und zwei Deutsche, Basse Stittgen aus den Niederlanden und Svenja Keune aus Schweden, teilgenommen.
TS Die Akademie setzt sich mit den zentralen Fragen auseinander, die uns heute in der Welt der Gestaltung beschäftigen. Wie wollen wir in Zukunft miteinander leben? Was für Materialien, was für Objekte brauchen wir? Wo kommen sie her? Wie nutzen wir sie? Was passiert mit ihnen, wenn wir sie nicht mehr brauchen? Diese Fragen stellen wir auch unseren Stipendiat*innen. Die Ergebnisse können sehr konzeptuell oder gesellschaftskritisch sein. Gestaltung mit Haltung!
ACW Interessierte bewerben sich mit eigenen Projekten für ein Fellowship. Sie können den Ort als Rückzugsort, als Labor oder als Inkubator nutzen, um ihre Ideen weiterzuentwickeln. Zudem verbinden wir sie mit Kontakten in die Wirtschaft und mit Mentoren, die ihre Projekte mit ihnen diskutieren und weiterentwickeln. Außerdem werden unsere Fellows immer auch ein gemeinsames Projekt bearbeiten, das sie in der Region verankert.
Könnt ihr ein Beispiel dafür geben?
TS In diesem Jahr war das noch eher experimentell – aufgrund der Pandemie konnten die Fellows nur eine Woche in Saaleck verbringen und nicht, wie geplant, einen Monat. In dieser Woche haben sie in der Region nach Materialien geforscht, aus denen man neue Designprodukte entwickeln kann.
Tatjana Sprick ist dieDAS Director of Programs and Development und verantwortlich für das Programm der Akademie.
ACW Saale-Unstrut ist eine traditionelle Weinbauregion. Wir haben von der lokalen Winzervereinigung in Freyburg Abfälle aus dem Weinbau bekommen, mit denen die Fellows in unserer Werkstatt experimentiert haben. Sie haben gegossen, im Ofen getrocknet, eine Form von Papier produziert. Und uns ein sehr symbolisches Geschenk gemacht: Aus den Dauben eines ausrangierten Barriquefasses haben sie eine Schaukel gebaut, die in Saaleck bleibt. Symbolisch, weil die Schaukel nach vorne und zurück schwingt. So wollen wir arbeiten: mit dem Blick zurück auf die Geschichte dieses speziellen Orts und mit dem Blick nach vorne in die Zukunft.
Wer steht hinter der Designakademie?
ACW Die Marzona-Stiftung Neue Saalecker Werkstätten. Die Stiftung wurde gegründet von Egidio Marzona und zwei weiteren Vorstandsmitgliedern, eines davon bin ich. Die Stiftung hat die historische Anlage in Saaleck erworben und kümmert sich um die Sanierung und Revitalisierung – auch dank einer großzügigen Förderung von Bund und Land über insgesamt zehn Millionen Euro und der Unterstützung durch private Förderer. Im Team der Akademie ist Tatjana Sprick federführend, sie leitet den Bereich Programm und Entwicklung. Zudem haben wir einen künstlerischen Leiter berufen, den Designer und Forscher Maurizio Montalti aus Amsterdam. Und momentan sind wir gerade dabei, einen Beirat für die Akademie aufzubauen, der künftig am Auswahlprozess der Fellows beteiligt sein wird. Wir konnten bereits Sarah Whiting, Dean der Havard Graduate School of Design, den Architekturtheoretiker Jean-Louis Cohen und den Kurator und Autor Glenn Adamson gewinnen.
Ihr habt erwähnt, dass das erste Fellowship kürzer ausfiel als geplant.
TS Wenn die Sanierung abgeschlossen ist, soll das Fellowship-Programm vier Monate dauern, von Mitte Mai bis Mitte September. Vier Monate sind eine gute Zeit, um etwas voranzubringen und weiterzuentwickeln. Und zugleich eine realistische Zeit für junge Talente, um sich aus ihrer regulären Welt herauszulösen. Wir werden auf dem Gelände auch ein Cottage haben für junge Familien, so dass man Partner*innen und Kinder mitbringen kann.
Founding Director Arne Cornelius Wasmuth ist gemeinsam mit dem Kunstsammler Egidio Marzona die treibende Kraft hinter der Gründung der Akademie.
ACW Dennoch ist es uns gelungen, in dieser einen Woche alle Elemente zu verankern, die wir langfristig als Teil des Programms sehen. Beispielsweise hatten wir Formafantasma als Mentoren für ein Gespräch digital zugeschaltet. Der Philosoph Alex Marashianhat uns besucht und mit den Stipendiat*innen diskutiert. Es waren unglaublich kompakte, fast schon überwältigende Tage für die Fellows. Ihre Rückmeldungen fielen unisono begeistert aus, trotz des kurzen Aufenthalts.
Saaleck ist ein historisch hochbelasteter Ort. Sein Erbauer, der Architekt und NS-Rassenideologe Paul Schultze-Naumburg hat sich hier mit Gleichgesinnten getroffen. Adolf Hitler selbst und andere NS-Größen waren mehrfach zu Gast. Wieso richtet ihr ausgerechnet hier eine Designakademie ein?
ACW Ich habe den Ort 2015 entdeckt, als ich auf dem Weg zu einer Tagung über Paul Schultze-Naumburg an der Bauhaus-Universität in Weimar war. Ich war beeindruckt von der Lage in dieser urdeutschen Landschaft, mit zahlreichen Burgen und malerischen Hügeln direkt an der Saale. 2017 erfuhr ich dann, dass die Anlage zum Verkauf steht. Der Kunstsammler Egidio Marzona, ein bescheidener, sehr kluger Mann mit einem unglaublichen Fachwissen über die Moderne, hat sofort seine Unterstützung zugesagt. Gemeinsam haben wir beschlossen, gerade an einem Ort wie diesem, neue Impulse zu setzen. Wir wollen die Vergangenheit ernst nehmen und sie vermitteln, aber wir wollen uns nicht davon einschüchtern lassen, sondern mit Mut und Haltung in die Zukunft blicken.
TS Paul Schultze-Naumburg gehört zur Moderne, er war Mitgründer des Deutschen Werkbunds, er war Zeitgenosse von Gropius und zugleich die Antipode. Sozusagen die dunkle Seite der Moderne.
Die historischen Saalecker Werkstätten sind ein geschichtlich vorbelasteter Ort. Der Erbauer Paul Schultze-Naumburg identifizierte sich mit Rassenideologien der Nazis. Auch diesem Erbe wollen die dieDAS Gründer gerecht werden.
Wie wollt ihr die Geschichte aufarbeiten?
TS Es wird ein Dokumentationszentrum zur Geschichte des Ortes geben. Wir entwickeln gerade ein inhaltliches Konzept mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Außerdem haben wir ein Projekt abgeschlossen mit der Hochschule Burg Giebichenstein. Studierende des Fachbereichs Interiordesign haben sich mit den Oberflächen der historischen Anlage beschäftigt. Sie haben untersucht, wie diese Oberflächen uns dabei helfen können, die Narrative der Vergangenheit aufzugreifen und zu kommunizieren.
ACW Tatjana hatte die wunderbare Idee, die sehr langen Außenmauern als Ausstellungsfläche zu nutzen, um Passant*innen und Tourist*innen abzuholen und ihnen erste Informationen zu vermitteln über die Geschichte des Orts.
Kürzlich hat die Marzona-Stiftung einen Wettbewerb für einen Masterplan veranstaltet. Die Jury hat sich für den Beitrag der dänischen Architektin Dorte Mandrup entschieden, die auch das Exil-Museum in Berlin bauen wird.
ACW Die zentrale Frage des Wettbewerbs war, wie man materiell und inhaltlich eine neue Zeitschicht über den Ort legen kann. Dorte Mandrup hat behutsame, wenn auch entschiedene Überlagerungen der Denkmalssubstanz vorgeschlagen. Eingriffe, die sensibel und trotzdem deutlich sind. Vieles soll so belassen werden, wie es ist. Hier und da sollen reversible Einheiten in die Gebäude eingestellt werden, wie große Möbel.
TS Dorte Mandrup arbeitet den Masterplan gerade aus, bis Jahresende wird er vorliegen. Im nächsten Jahr beginnt dann die Planungsphase der Sanierung. 2025 soll alles fertig sein.
Wird das Gelände dann öffentlich zugänglich sein?
TS Zum Teil. Das Dokumentationszentrum liegt im Eingangsbereich und kann für Besucher*innen geöffnet werden. Die Hauptgebäude werden nur nach Terminabsprache zu besichtigen sein. Es soll ja ein Rückzugsort für unsere Fellows sein, ein Ort der Kontemplation, der Besinnung und auch der konzentrierten Arbeit.
Wie sind denn die Reaktionen aus Region, von der lokalen Politik und der Bevölkerung?
ACW Der Bürgermeister der Stadt Naumburg und der Landrat des Burgenlandkreises sind beide sehr unterstützend. In diesem Jahr hatten wir erstmals zu einem Tag der offenen Tür geladen, das soll künftig regelmäßig passieren. Unter Einhaltung aller Hygienevorschriften konnten wir das ganze Gelände Ende August öffnen. Und obwohl es in Strömen geregnet hat, sind über 300 Menschen gekommen, aus allen Altersgruppen. Das war für uns eine kleine Sensation. Wir waren richtiggehend gerührt, wie groß das Interesse ist. Darauf wollen wir aufbauen mit einem eigenen Outreach-Programm. Wenn das Fellowship Programm schließlich volle vier Monate dauern wird, bleiben ja immer noch acht Monate im Jahr, an denen andere Dinge auf dem Gelände passieren können. Wir denken an Workshops, wir wollen mit Schulen zusammenarbeiten. Dieser Bereich entwickelt sich gerade.