„Politik beeinflusst deinen Instagram-Feed“

„Politik beeinflusst deinen Instagram-Feed“

Pedro Inoue ist Designer, Aktivist – und Creative Director des Adbusters Magazins. In form 283 führten wir mit ihm ein Gespräch über die Macht der Ideen.

 

Adbusters Magazin, Ausgabe Sep/Okt 2016 

 

Eine Zeltstadt in Manhattan oder Weihnachtsmänner, die am Black Friday gegen blinden Konsum demonstrieren: Die Aktionen der Adbusters Media Foundation sind politisch – und medienwirksam. Dass Kampagnen wie Occupy Wall Street oder der Buy Nothing Day von einem kanadischen Kollektiv erdacht und kommuniziert wurden, wissen trotzdem nur wenige. Die Adbusters Media Foundation wurde 1989 von Kalle Lasn und Bill Schmalz in Vancouver gegründet. Seitdem veröffentlicht sie alle zwei Monate das Magazin Adbusters, das sich vor allem durch seine bissigen Interpretationen berühmter Werbekampagnen einen Namen gemacht hat. Pedro Inoue ist seit über zehn Jahren Creative Director des Magazins. Wir haben Inoue nach seinem Vortrag auf der diesjährigen See-Conference in Wiesbaden getroffen. Wirkte er kurz zuvor auf der Bühne noch etwas nervös, war er im Gespräch ein lebendiger und aufmerksamer Gesprächspartner, der schnell neue thematische Verbindungen herstellte – von den politischen Auswirkungen sozialer Medien bis hin zu seiner brasilianischen Herkunft.

Du arbeitest seit mittlerweile zehn Jahren für Adbusters. Hast Du auch schon kommerzielle Werbung gemacht?

Ja, habe ich. Nach meinem Studium arbeitete ich sieben Jahre in London bei Jonathan Barnbrook. Danach ging ich wieder zurück nach Brasilien. Die meisten Leute, die dort Design machen, arbeiten in der Werbung. Und es ist wirklich schlechte Werbung. Ich hatte bereits mit David Bowie und Damien Hirst gearbeitet, sodass mein Portfolio wirklich gut war. Die Leute stellten mich ein, um ihren Kunden erzählen zu können: „Dieser Typ hat schon mit David Bowie gearbeitet“. Für meine Arbeit haben die sich nicht wirklich interessiert. Das war echt schwer. Nach einem Jahr hatte ich eine Auseinandersetzung mit einem Creative Director wegen einer Socken-Reklame, an der ich arbeitete. Mich rief ein Jugendfreund aus meinen alten Aktivistenzeiten an und fragte, ob ich ihn treffen wolle. Wir gingen aus und er erzählte mir von einem humanitären Projekt, das er gerade im Amazonas-Regenwald durchgeführt hatte. Später schaute er mich an und fragte: „Was machst Du so?“ An diesem Tag hatte ich eine Erleuchtung: „Scheiß auf diesen Job – ich arbeite nicht weiter in der Werbung. Ich werde nur noch das tun, woran ich wirklich glaube und mit Leuten, die ich wirklich schätze.“ Von diesem Tag an habe ich diese Arbeitsweise entwickelt und seitdem war es unglaublich erfüllend. Ich schaue zurück auf die Arbeiten, die ich in den vergangenen Jahren gemacht habe und bin wirklich stolz darauf. Scheiß auf Socken-Werbung.

 

Illustration für das CD-Booklet des David Bowie-Albums Heathen (2002)


Warst Du als Teenager schon Aktivist?

Als ich aufs College kam, musste ich tagsüber arbeiten, um das College am Abend bezahlen zu können. Die Lehrer an der Schule waren super langweilig. Ich habe ständig mit ihnen gestritten, weil sie von mir verlangten, marktorientierte Aufgaben zu bearbeiten und ich das nicht wollte, da ich schon tagsüber für den Markt arbeitete. Nach der Schule traf ich mich mit Freunden und wir starteten aktivistische Interventionen in São Paulo. Wir verfolgten eine Art „freundlichen Vandalismus“, für den wir in besonders hässliche Teile der Stadt gingen. Wir räumten auf und bemalten Fliesen in wunderschönen Farben. Oder wir gingen zu Cartier-Läden und hängten dort Poster auf, die soziale Ungerechtigkeit thematisierten. Ich kannte Adbusters damals schon. Meine Arbeit hatte schon immer einen politischen Fokus. Als ich zu Adbusters kam, war das also eine sehr natürliche Entwicklung.

Glaubst Du, es ist wichtig für Designer, politisch involviert zu sein?

Wenn Ihr mir diese Frage vor 20 Jahren gestellt hättet, hätte ich vermutlich ja gesagt. Heute, im Jahr 2019, glaube ich, hat man kaum noch eine Wahl. Die Welt ist politisch geworden. Politik beeinflusst deinen Instagram-Feed. Politik findest du in Beyoncés letztem Video, in der Pepsi-Werbung, in der neuesten Ausstellung des Kunstmuseums, auf dem aktuellen Catwalk in Paris und in Hollywoods Blockbustern. Wenn du heute an einem Kommunikationsprojekt arbeitest, besteht ein Teil der Arbeit darin, es mit Blick auf Ethnie, Geschlecht und postkoloniale Themen zu lesen. Die Welt ist komplexer geworden, was auch der Grund dafür ist, dass Fake News – mit ihrer Vereinfachung der Welt – so angesagt sind. Wir als Gestalter, als Vermittler, müssen das verstehen. Es ist wichtig, zu sehen, dass unsere Arbeit diese Vorurteile entweder bestärken oder in Frage stellen kann. Es gibt kein gut oder schlecht, schön oder hässlich mehr. Es gibt nur Kontext. Ich glaube, die Tatsache, dass ich aus einem armen Land komme, lässt mich diese Dinge klarer erkennen.

Die Idee des Designers ist eng mit dem kapitalistischen System verbunden. Glaubst Du, dieser Job könnte ohne Konsum existieren?

Design ist Kommunikation. Jegliche Art von Kommunikation. Es ist nicht nur etwas, das wir nutzen, um für Marken Lügen zu erzählen, die Menschen dazu bewegen, mehr Mist zu kaufen, den sie nicht brauchen. Die Welt, in der wir leben, steht in Flammen und ein entscheidender Grund dafür ist unser Konsum. Der Finanzmarkt diktiert, wohin wir gehen, und er zerstört die Menschheit auf eine selbstmörderische Art. Meiner Meinung nach kann Kreativität helfen, neue Sichtweisen zu eröffnen, wie es die Situationisten 1968 taten. Jeder kann kreativ sein. Eine Idee kann die Dinge wirklich verändern und eine große Auswirkung auf die Welt haben. Zudem ist Design eine Brücke. Du brauchst deine Umwelt, um zu entwerfen, das geht nicht allein. Im Design geht es immer um Beziehung. Design auf ein Werkzeug des Konsums zu reduzieren, ist zu wenig. Die Dinge haben sich verändert. Zum Beispiel die Trump-Wahl: Die Kommunikation spielte eine enorme Rolle. Das Gleiche passierte in Brasilien. Bolsonaro wurde mithilfe von Whatsapp-Nachrichten gewählt, die Lügen und Hass von Gruppe zu Gruppe verbreiteten. Diese waren bewusst schlecht gemacht, um den Leuten ein Gefühl von Wirklichkeit zu vermitteln. Das kann als „prekäre Ästhetik“ bezeichnet werden: der billig gemachte, antiprofessionelle, massengetriebene, leicht verdauliche Ansatz. Das Gleiche bei Trump. Schaut Euch die Memes an, die ihn unterstützten, der Gebrauch von Standard-Schriftarten, die ordinären Farben, die Bilder mit niedriger Auflösung – dieser Look transportiert die Idee, dass das eigentlich jeder gemacht haben könnte. Die Hillary [Clinton]-Kampagne wurde von Pentagram gemacht. Und Pentagram repräsentiert diese hochintellektuellen Designexperten: „Wir wissen es besser“ – das Hillary „H“ als Logo gestalten – ein System, eine variable Identität etc. Das steht für die Elite – den Status quo, das eine Prozent. Das Spiel hat sich geändert.


„Zelt mitbringen“: Adbusters’ Poster, das die Occupy-Bewegung ins Leben rief

Würdest Du sagen, dass es auch ein bisschen gefährlich ist, dass heutzutage jeder Urheber ist?

Nein, das glaube ich nicht. Zumindest bezogen auf Aktivismus ist es wunderbar, dass jeder ein Gestalter ist, da Kreativität helfen kann, neue Formen des Protests zu verbreiten. Schaut Euch um. Der Finanzkapitalismus legt unseren Planeten in Schutt und Asche und der Klimawandel droht am Horizont. Wir leben in einem wirtschaftlichen Sparregime, seit der Bankenkrise 2008, für die niemand – weder ich noch du – verantwortlich war, und trotzdem müssen wir die Kosten dafür tragen. In unseren Seelen brennt ein psychisches Fieber und eine Krise der Repräsentation, in der wir aufhören, jedem Unternehmen, Politiker, Massenmedium oder Institution Glauben zu schenken. Ich glaube, als Kreative haben wir die Verantwortung, uns neue anregende und kraftvolle Visionen einfallen zu lassen. Das bedeutet emotionale Narrative und Storytelling. Ich spreche nicht davon, wissenschaftliche Beiträge zu schreiben, die funktionieren nicht mehr. Wir brauchen Geschichten. Trump wurde mit Geschichten gewählt, mit Wut. Vielleicht müssen auch wir mit Wut arbeiten. Menschen sollten tatsächlich Kreativität ausüben und ebenso lernen, Bilder zu lesen und die Welt zu verstehen, in der wir leben.

Wie können wir lernen, diese Bilder zu verstehen?

Das Ding ist, das hinter Bildern immer Interessen stehen. Wenn du durch ein Modemagazin blätterst, erzählen dir 90 Prozent der Bilder: „Du bist nicht genug“. Als Menschen sind wir, auf die eine oder andere Weise, innerlich verdammt kaputt. Nichts ist perfekt (und bedenkt, dass Perfektion langweilig ist). Wichtig ist, dein Bestes zu versuchen. Das ist, was zählt. Ich bin jahrelang mit dem Fernsehen aufgewachsen und mit Werbespots großer Werbeagenturen, die Diplompsychologen aus Harvard damit beauftragen, mir immer wieder zu sagen: „Du bist nicht genug“. In der heutigen Gesellschaft ist es aufgrund der permanenten Präsenz von Digitalität in unserem Alltag sogar noch schlimmer. Hinsichtlich Bildung versuche ich, meinen Kindern, vor allem meinem elfjährigen Sohn, zu erklären, dass wir verstehen müssen, dass wir alle unvollständig sind. Wir sind nicht perfekt, keiner ist das. Nicht mal das Photoshop-Perfekt, das man im Magazin sieht, ist perfekt. Da steckt eine Absicht dahinter. Lest nicht die Oberfläche. Grabt tiefer.

Auf der Bühne hast Du erzählt, dass Du mit Deinem Sohn zusammen Werbung anschaust, aber ohne Ton.

Ja, stellt man den Ton aus, stellt man die Emotionen aus. Versucht mal einen Horrorfilm ohne Ton zu schauen, dann erst beachtet man wirklich die Bilder. Werbung wird nicht gemacht, um aufmerksam betrachtet zu werden. Werbung ist darauf ausgelegt, nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen zu werden.

Durch soziale Medien ist das sogar noch schlimmer geworden, oder? Jetzt weiß man wirklich nicht mehr, was Werbung ist und was nicht.

Soziale Medien sind für mich ein komplett anderes Terrain. Früher gingen die Menschen in Plattenläden, kauften eine Platte, gingen nach Hause und hörten sie. Heute öffnet man einfach Spotify. Man denkt, man hat eine direkte Verbindung zu dem Musiker, aber eigentlich sitzt zwischen dir und dem Interpreten dieser Parasit, der alle deine Informationen aufsaugt. So wird wirklich Geld gemacht. Frei ist nicht frei. Die nutzen uns und das Zeug, das wir mögen, auf eine Art, die nicht transparent ist. Die sozialen Medien sind eine Falle, die unsere Augenbewegungen, unser Lächeln, unsere Daumenbewegungen auf Instagram verfolgt. Das macht Instagram so mächtig und Zuckerberg so reich, weil er von jedem alle Daten bekommt, und die verkauft er und darüber redet er nicht. Vielleicht, wenn sie anfangen würden zu sagen: „Hey, weißt du was? Ich gebe dir 500 Dollar im Monat, wenn du diese App jeden Tag benutzt. Denn wir werden viel Geld damit machen, also solltest du einen Teil davon abbekommen.“ Wenn das der Fall wäre, super, aber das ist es nicht. Und jetzt haben es die sozialen Medien tatsächlich geschafft, die Wahlen in den Vereinigten Staaten und in Brasilien zu verändern. Und als Zuck[erberg] klar wurde, was zum Teufel er da gemacht hatte, sagt er nur: „Huh, sorry.“ Das ist nicht genug. Wann immer du diese Captchas von Google ausfüllst, „zeig Google, dass du kein Computer bist, indem du Brücken, Fahrräder oder Straßen markierst“, arbeitest du für Google. Du lehrst den Computer, wie ein Mensch zu denken. Wirklich? Wir arbeiten alle für eines der größten und reichsten Unternehmen der Welt? Ohne einen scheiß Cent dafür zu bekommen? Bei Adbusters haben wir etwas, das wir „Moonstruck“ nennen und das an jedem Vollmond-Tag 2019 stattfindet. Man verbringt 24 Stunden ohne Bildschirm. Man benutzt keine Computer oder Handys. Die Leute lieben es. Man kann sein Handy weglegen und hat einen ganzen Tag, ohne darauf zu schauen. Natürlich checkt man sein Handy am nächsten Tag sowieso wieder, aber es ist interessant zu sehen, wie verdammt abhängig wir von diesen leuchtenden kleinen Albträumen geworden sind.

Du hast mit Jonathan Barnbrook zusammengearbeitet, der das First Things First Manifesto 2000 unterzeichnete.¹ Wie würde dieses Manifest heute aussehen?


Das ist eine sehr gute Frage, und ich habe keine Antwort darauf. Als das erste Manifest 1963 geschrieben wurde, ging es um relativ normale Gestaltungsarbeit im Jahr 1963. Als es 2000 überarbeitet wurde, hinterfragte man die Rolle von Werbung und Konsum. Heute, fast 20 Jahre später, denke ich, sollten wir versuchen mit aufzunehmen, was in den sozialen Medien passiert. Design schafft Kontext, generiert Kultur und erschafft Systeme. Vorher war es um einiges einfacher. Heutzutage befasst sich unsere Arbeit viel tiefgreifender – und weitreichender – mit dem Informationsfluss in unserer heutigen Konsumgesellschaft.
Bei Adbusters glauben wir fest daran, dass wir die Grundpfeiler dieser Gesellschaft durch Ästhetik, Kommunikation und Aktivismus verschieben können. Ein First Things First müsste heute ein viel komplexeres und verflochteneres Netz von Interessen sowie unsere privilegierte Position als Fachleute in dieser Welt miteinbeziehen. Nenne deine Top-Ten-Designer der Welt. Wie viele von ihnen sind schwarz? Wie viele sind Frauen? Und wie viele kommen aus armen Ländern? Als ich anfing, mit Jonathan zu arbeiten, bestand seine politische Arbeit darin, Plakate zu entwerfen. Für meine Generation waren Plakate nicht genug. Wir mussten Ideen entwickeln. Dann hatte die nächste Generation diese Ideen und schuf eine Bewegung – wie Occupy Wall Street. Heute brauchen wir mehr als eine Bewegung. Einen nächsten Schritt.

 

 

Adbusters Ausgaben 2015 bis 2017



Also, wenn Adbusters heutzutage gegründet werden würde, was wäre es?

Ich glaube, es wäre ein auf Fiktion basierendes Projekt, so wie die Serie „The Handmaid’s Tale“. Ich sehe Adbusters gern als eine Reise – eine Reise des Individuums, das in diesen verrückten Zeiten lebt und gleichzeitig als eine Reise der Menschheit – was haben wir uns als Spezies auf unserem kleinen Planeten geschaffen? Wohin führt das alles? Also in Bezug auf die Reise ist es vielleicht eher ein Film. Adbusters wäre vielleicht eine fortlaufende Serie, die versucht, die Vorstellungen dieser alten Welt – durch emotionale Inhalte – herauszufordern, während sie sich auf die Suche nach einer neugeborenen Welt begibt.
Man muss sich immer bewusst sein: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir zur Mutter aller verdammten Schlachten antreten – den Klimawandel – und wenn du auf dein Leben und deine berufliche Arbeit der letzten Jahre zurückblickst, woran möchtest du dich dann erinnern? Den Start einer aalglatten Socken-Reklame oder die Gründung und Teilnahme an einer ökologischen Bewegung? Es liegt bei dir.

 

¹ Das First Things First Manifest wurde 1963 von Grafikdesigner Ken Garland aufgesetzt. Zusammen mit 21 weiteren Unterzeichnern positionierte sich Garland gegen die „trivialen“ Kampagnen einer schnelllebigen Werbewelt und für „Dinge, die unsere Fähigkeiten und Erfahrung mehr verdienen“. Der britische Grafikdesigner Jonathan Barnbrook setzte das Manifest um die Jahrtausendwende neu auf. Auch Barnbrook rief gemeinsam mit 33 weiteren Kreativen zu einem Umdenken in der Designbranche auf, weg vom Werben für Luxusgüter und hin zu „nützlicheren, beständigeren und demokratischeren Kommunikationsformen“.

 

Interview: Nina Sieverding, Katharina Zemljanskij

 

Dieser Artikel erschien ursprünglich in form 283 – The Power of Design.  ZUR AUSGABE