Zum Tod von Volker Fischer (1951 – 2020)
Text: Klaus Klemp
Das mit der Boutique war durchaus kritisch und ernst gemeint und bezog sich nicht zuletzt auf das Design und die kommerzielle Verflachung guter Ideen. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre und in den ersten Jahren der 1990er-Jahre wurde Design jedenfalls heiterer und lustvoller, wenn auch nicht immer sinnvoller. Volker Fischer hat aber auch im scheinbar Oberflächlichen das Tiefgründige gesehen. Und eine Spaßgesellschaft konnte er ebenso kritisieren wie einen seelenlosen Architektur- und Design-Funktionalismus.
Ausgestattet mit brillantem Scharfsinn und einem fabelhaften Gedächtnis, hat er Texte geschrieben, ohne dabei auch nur einmal in ein anderes Buch schauen zu müssen. Das ging selbst im Urlaubscafé an der belgischen Nordseeküste. Dazu hat er aber an jedem Morgen in seinem Büro zwei Stunden die aktuellen internationalen Designzeitschriften studiert und abends zu Hause auch alle relevanten Bücher. Fischer kannte nicht nur die Fakten und Meinungen fast aller Autor*innen, sondern konnte auch seriös neuartige Zusammenhänge herstellen, die manches Mal mehr als überraschend waren. Besondere Freude hatte er am Erfinden oder Umdeuten von Wörtern, wie zum Beispiel „Mikroarchitektur“ für Tischgeschirr, bevor der Begriff für Computer gängig wurde.
Design und Architektur hat er stets zusammen gedacht. Produktgestaltung war für ihn die kleine, aber unabdingbare Schwester der Architektur. Sein Interessenshorizont und sein Wissen waren breit. Ihm war kein Designer und keine Designerin, kein Architekt und keine Architektin, kein Designunternehmen und kein Designmuseum unbekannt. Er konnte stundenlang über Nanotechnologie und ihre Auswirkungen auf die Zukunft referieren oder eine lange Eröffnungsrede über das Thema Löcher halten. Es gab kaum etwas, worüber er nichts zu sagen wusste.
Volker Fischer war nicht der Apostel der Postmoderne, für den ihn manche hielten. Er hat den funktionskritischen Aufbruch der 1960er-Jahre als konstruktive Korrektur, ja letztlich als Revitalisierung der Moderne verstanden. Fischer, immer tadellos mit Schlips und Kragen gekleidet – und nachdem das Haar etwas schütterer wurde – mit Haarzopf, wie sein Held Ettore Sottsass, war den Konventionen aber auch durchaus abholt. Seine ausführlichen Reden bei Ausstellungseröffnungen pflegte er in Versform vorzutragen.
Nach einem Studium der Kunstpädagogik, Germanistik, Linguistik und Kunstgeschichte in Kassel und Marburg, wurde Volker Fischer 1979 mit einer umfangreichen Arbeit über Nostalgie promoviert. Es war damals die erste umfassende Arbeit zum Thema schlechthin. Nach einer kurzen Tätigkeit als Kulturreferent der Stadt Marburg, wurde er 1981 stellvertretender Direktor des in Gründung befindlichen, von Heinrich Klotz initiierten Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main. Seine neue Position katapultierte ihn von der eher überschaubaren Marburger Kulturszene schlagartig auf die große Bühne. Da stand auf einmal nicht mehr die Oberhessische Presse, sondern die New York Times vor der Tür und stellte Fragen. Er meisterte diese Herausforderung souverän.
Ausstellung „Design heute“ im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt am Main, 1988, Credit: DAM Deutsches Architekturmuseum
1988 konzipierte er mit der Ausstellung „Design heute“ nicht nur eine der ersten großen Designausstellungen der 1980er-Jahre in Deutschland, sondern popularisierte das Thema Design durch große Medienresonanz. Fraglos mit postmodernem Impetus, hatte diese, auch international Aufsehen erregende Ausstellung, auch Dieter Rams, dem Vertreter eines zurückhaltend funktionsorientierten Designs, breiten Raum eingeräumt. 1994 wechselte Fischer mit der von ihm aufgebauten Designsammlung vom Architekturmuseum ins Museum Angewandte Kunst Frankfurt, damals noch Museum für Kunsthandwerk, und begründete dort die Designabteilung. Dies führte das Museum auf seine Wurzeln zurück, denn bei der Gründung 1877 ging es nicht so sehr um Kunsthandwerk, sondern um mustergültige Gebrauchsgegenstände. Wie die meisten vergleichbaren Kunstgewerbemuseen der Gründerzeit tendierte auch das Frankfurter Museum im Laufe der Jahrzehnte immer mehr zum Kunsthandwerk aller Zeiten und Orte. Daher war die zunächst kleine Designabteilung, die heute wieder eine selbstverständliche Rolle im Museum spielt, eine Art Wiederbelebung des Ursprungsgedankens.
Reihe form Design-Klassiker, 1997 initiiert von Volker Fischer
Ein schmales Hinterhaus in Frankfurt-Sachsenhausen ließ er mit den Architekten Berghof/Landes/Rang zu einem Wohnhaus für sich und seine Familie umbauen. Es war intelligente postmoderne Umbauarbeit im Bestand, sozusagen die Praxis zur Theorie. Ganz oben, verglast nach allen Seiten, war das Arbeitszimmer des Vielschreibers mit Blick über die Stadt. Richtiger: des Vieldiktierers, denn Volker Fischer hat seine Texte fast nie von Hand geschrieben, sondern ins Diktiergerät gesprochen. Das ging schneller und war nötig, um seinen sprudelnden Gedankengängen in adäquater Geschwindigkeit nachzukommen.
Volker Fischer war nicht nur Autor, sondern auch Initiator und Herausgeber wichtiger Publikationen, wie den „Design Klassikern“ im Verlag form seit 1998, die zurzeit teilweise neu editiert werden. Unverzichtbar bis heute ist für Designstudierende sein Quellenband „Theorien der Gestaltung“, den er 1999 zusammen mit Anne Hamilton herausgegeben hat und der die wichtigsten Texte zur Designtheorie des 19. und 20. Jahrhunderts beinhaltet. Viele weitere Bücher und Aufsätze müssten hier aufgeführt werden.
Reihe form Design-Klassiker, 1997 initiiert von Volker Fischer
Ebenso war Fischer einer der Initiatoren der Veranstaltungs- und Ausstellungsreihe „Designhorizonte“, die seit 1989 für einige Jahre in Frankfurt zur Herbstmesse stattfanden und zu einem soliden Netzwerk von Designer*innen, Unternehmen, Autor*innen und Kurator*innen wurden. 2008 war er Gründungsmitglied der Gesellschaft für Designgeschichte.
Nicht unerwähnt darf auch seine Lehrtätigkeit an der HfG Offenbach bleiben, an der er als langjähriger Lehrbeauftragter und, seit 1992 als Honorarprofessor, über viele Jahre Designgeschichte und Designtheorie unterrichtete.
In den letzten Jahren zog sich Volker Fischer immer mehr zurück – leider. Er hat als Kultur- und Designwissenschaftler und als Designkritiker intelligent und kenntnisreich Dinge bewegt und auf den Punkt gebracht. Viele neue Positionen zum Design hat er mit scharfer Klinge bekannt gemacht und leidenschaftlich dafür gestritten. Am 27. November 2020 ist Volker Fischer verstorben. Jemand wie er fehlt.