Alle zwei Jahre findet die Biennale für Lichtkunst und Stadtgestaltung im Frankfurter und Offenbacher Stadtraum statt. Noch bevor die Veranstaltung dieses Jahr eröffnet wurde, kam die Absage angesichts der Corona-Pandemie. Seit dieser Woche laden die Veranstalter*innen zum virtuellen Rundgang ein. Nun dient der digitale Raum als Bühne für teils eindrucksvolle, teils erschreckend geschichtsvergessene Installationen. „Digital Romantic“ lautet das Thema der diesjährigen Luminale. Die Organisator*innen sehen eine Parallele zwischen dem Zeitalter der Digitalisierung, der Quantifizierung der Welt in Zahlen, und der beginnenden Industrialisierung im späten 18. Jahrhundert, einer Zeit die geprägt war von den Errungenschaften der Aufklärung und deren Folge ein Gefühl von Rationalisierungs- und Normierungszwängen war. Während das 18. Jahrhundert mit der von Max Weber konstatierten „Entzauberung der Welt“ den Weg für die Romantik als Gegenbewegung geebnet habe, fragt die Luminale nach dem Ort des Romantischen im Digitalen. Haben wir es mit dem Digitalen mit einer grenzenlosen Rationalisierungsmaschine zu tun, oder bietet es Raum für das Erhabene?
BELONGING
Die Arbeit des Kollektivs für audiovisuelle Kunst Xenorama mit dem Titel „Belonging“ beantwortet letztere Frage mit einem eindeutigen Ja. Als Projektionsfläche dient ihnen die Fassade der Alten Oper, ein Gebäude, das zwar selbst erst 1880 fertiggestellt wurde, dessen Architektur sich aber am Palladianismus der Berliner Staatsoper Unter den Linden von 1743 orientiert und so zumindest ästhetisch ins 18. Jahrhundert verweist. Mit Lichtspielen zerlegen die Künstler das Gebäude in Fragmente, bauen es aus kleinsten Bildpunkten und Vektorflächen wieder auf. Begleitet wird die Performance von einem Soundtrack, der elektronische Musik und klassische Instrumente wie Kontrabass und Klavier verbindet. So schafft Xenorama ein sinnliches Erlebnis dessen, wie sie sich eine digitale Romantik heute vorstellen.
GRIM WHITE
Einen anderen Umgang mit der romantischen Epoche beweisen die Videokünstlerin Vanessa Hafenbrädl und die Musikerin Anna McCarthy. Die beiden nehmen sich die Brüder Grimm, selbst Zeitgenossen der Romantik, und das aus ihrer Sammlung entnommene Märchen Schneewittchen vor. Am Schneewittchendenkmal an der Taunusanlage präsentieren die Künstlerinnen ihren hypnotischen Mix aus eindringlich hämmerndem Rhythmus und Licht- und Videoprojektion, die mithilfe von in Glas gebrochenem Licht die Frauenfiguren des Märchens aufbricht und neu zusammensetzt. Bild- und Textfragmente nehmen die Geschchte des Märchens auseinander und entreißen sie dem Streben hin zu einer männlichen Retterfigur. Die beeindruckenden Projektionen entstanden dabei gänzlich ohne computergestützte Animationen.
FACING EXTINCTION
Die Luminale schreibt sich auf die Fahne, sich „mit urbanen Visionen im Spannungsfeld von Licht, Architektur, Technologie, Ökologie, dem sozialen Miteinander in der Stadt oder mit ihrer Geschichte und Kultur“ auseinanderzusetzen. Dass es sich bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte und Kultur der Stadt tatsächlich um ein Entweder-oder handelt, zeigen die Veranstalter*innen dieses Jahr mit einer Arbeit, die ein Mahnmal der Verbrechen des NS-Regimes mit Bildern vom Aussterben bedrohter Arten überstrahlt.
„Facing Extinction“ lautet der Titel der Videoinstallation des Berliner Büros für Raum- und Medieninstallation M Box. Als Projektionsfläche dient das IG-Farben-Haus, das ehemalige Hauptquartier des Chemiekonzerns, der die Vernichtungslager des Nationalsozialismus mit Zyklon-B bestückte. Beispielhaft für den Einsatz von Zwangsarbeiter*innen durch die IG Farben ist das Konzentrationslager Monowitz, nahe Auschwitz, das für den Einsatz von Gefangenen für die Arbeit in den angrenzenden Burma-Werken der IG Farben errichtet wurde. Willkürliche Hinrichtungen und Tod durch Erschöpfung standen beim Ausbau des Lagers und bei der Fabrikarbeit an der Tagesordnung. Die IG Farben war bis 1945 nicht nur maßgeblich an der Ermordung von 6 Millionen Jüdinnen und Juden beteiligt, sondern auch am Tod von 2,5 Millionen Zwangsarbeiter*innen.
In der Beschreibung der Arbeit ist nun die Rede von einer „Installation, die gnadenlos an den Rändern kratzt, den Blick in den Abgrund aufreißt und schonungslos darauf hin weist [sic], dass die Zeit des Verleugnens vorbei, die Grenze, in der wir unversehrt aus diesem selbstverschuldeten Desaster entkommen, längst überschritten ist!“ Hintergrund sind nicht die Verbrechen des NS-Regimes, sondern der Bericht des Weltbiodiversitätsrats, demzufolge von geschätzten 8 Millionen Tier- und Pflanzenarten etwa 1 Million vom Aussterben bedroht sind. Das allein ist Grund für eine intensive Auseinandersetzung, allerdings darf sie nicht auf dem Rücken oder anstelle der Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten ausgetragen werden. Noch weniger darf sie Relativierungen eben jener Verbrechen Vorschub leisten. Dass diese Gefahr real im Raum steht bewies im November letzten Jahres der Mitbegründer von Extinction Rebellion Roger Hallam.
Hallam bezeichnete den Holocaust gegenüber der „Zeit“ in bester Gauland-Manier als „nur ein weiterer Scheiß in der Menschheitsgeschichte“ und verkündete in einem Spiegel-Interview: „Der Klimawandel ist nur das Rohr, durch das Gas in die Gaskammer fließt.“ Woraufhin sich der deutsche Ableger der Bewegung von Hallam entschieden distanzierte und der Ullstein-Verlag ein Buch von ihm zurückzog. All das liegt kein halbes Jahr zurück. Es wäre von den Veranstalter*innen zu erwarten gewesen für ein „inhaltlich hochwertiges Programm“ und einen „nachhaltigen Beitrag“ mehr Fingerspitzengefühl an den Tag zu legen. Stattdessen findet die Geschichte des IG-Farben-Haus weder in der Projektbeschreibung noch in den Pressemitteilungen der Luminale Erwähnung, geschweige denn eine Erklärung für die Wahl des Gebäudes.
Solange der Kampf gegen den Klimawandel und gegen das Artensterben dem Antisemitismus als Einfallstor dient, bleiben seine Erfolge in unerreichbarer Ferne.